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Die Wirkung der digitalen Medien und Reizüberflutung auf Kinder

In unserer modernen Welt mit ihrem digitalen Bildersturm, ununterbrochenen Geräuschen und eng getakteten Alltags-to-do-Listen finden Kinder kaum noch Zeit, um wirklich herunterzufahren. Obgleich nicht alle Kinder ADHS haben, zeigen immer mehr Symptome wie innere Unruhe, Konzentrationsprobleme, emotionale Ausbrüche und Schlafstörungen ein erschreckend ähnliches Verhalten. Dafür ist oft keine klare Diagnose verantwortlich, sondern etwas anderes, viel subtileres – eine systemische Reizüberflutung, über die noch zu wenig gesprochen wird.

Was passiert bei Reizüberflutung?

Smartphones, Tablets, Konsolen, Dauerbeschallung im Alltag – Kinder wachsen heute in einer Welt auf, die ununterbrochen Reize liefert. Für viele ist das längst Normalität. Doch für Kinder mit ADHS ist diese Flut ein permanenter Ausnahmezustand. Sie nehmen Reize intensiver wahr, können sie schlechter filtern und reagieren stärker auf Ablenkungen (1. BZgA, 2022). Das Resultat: Unruhe, emotionale Ausbrüche, Konzentrationsprobleme und immer häufiger auch Schlafstörungen.

Jede Information, sei es das Klingeln einer WhatsApp-Nachricht oder das Summen eines Ventilators, wird gleich stark verarbeitet. Medienkonsum verstärkt diesen Effekt. Schnelle Bildwechsel in Videos oder Games überfordern die Steuerung der Aufmerksamkeit, sodass das Kind kaum noch zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden kann (2. RKI, 2020).

Während gesunde Kinder nach einer Bildschirmzeit von ein bis zwei Stunden in die Entspannung finden, bleibt bei ADHS-Kindern das Nervensystem übererregt. Das Ergebnis: Einschlafprobleme, ständige Ablenkung und innere Anspannung.

Medien: Der unsichtbare Verstärker von ADHS

Während gesunde Kinder nach einer Bildschirmphase oft schnell wieder ins Gleichgewicht zurückfinden, wirkt der Effekt bei ADHS-Kindern deutlich stärker nach. Studien zeigen, dass schnelles Bildmaterial, wie es bei YouTube, TikTok oder Videospielen typisch ist, die Aufmerksamkeitssteuerung zusätzlich beeinträchtigen kann (3. Paulus, F.M et. al., 2019). Jede Sekunde werden neue Informationen verarbeitet – für Kinder mit ADHS ein kaum zu bewältigender Dauerstress.

Neurowissenschaftliche Untersuchungen verdeutlichen, dass das präfrontale Cortex – jener Hirnbereich, der für Aufmerksamkeit, Selbstregulation und Impulskontrolle zuständig ist – bei ADHS ohnehin weniger effizient arbeitet (4. Shaw, P. et al., 2015). Digitale Reize mit schnellen Wechseln und starker Belohnungsstruktur (Likes, Level-Aufstieg, neue Videos) überlasten dieses System zusätzlich. Das Ergebnis: Kinder sind nach Medienzeiten nicht „entspannt“, sondern noch aufgedrehter, reizbarer und schwerer steuerbar.

Eltern zwischen Sorge und Überforderung

Viele Eltern beschreiben, dass ihr Kind sich in den letzten Jahren verändert hat. Was früher ein neugieriges, ausgeglichenes Kind war, wirkt heute überdreht, unruhig, gleichzeitig müde und emotional unausgeglichen. Das Gefühl, das eigene Kind nicht mehr erreichen zu können, ist für Eltern besonders belastend. Dazu kommt das schlechte Gewissen: „Ich erlaube zu viel Medienzeit“ – oder: „Ich schaffe es nicht, klare Grenzen zu setzen.“

Doch Schuld ist hier fehl am Platz. Reizüberflutung ist kein Erziehungsfehler, sondern ein systemisches Problem unserer Zeit. Kinder mit ADHS sind lediglich besonders verletzlich für die Folgen.

Was im Gehirn passiert

Wenn Kinder stundenlang digitalen Medien ausgesetzt sind, verstärkt sich die Überaktivität bestimmter Gehirnnetzwerke. Das „Default Mode Network“, das eigentlich für Tagträume und Ruhephasen zuständig ist, bleibt bei ADHS überaktiv – selbst dann, wenn Aufmerksamkeit gefragt wäre. Digitale Reize intensivieren dieses Ungleichgewicht: Statt zur Ruhe zu kommen, feuern die Nervenzellen weiter. Das erklärt, warum viele ADHS-Kinder nach Bildschirmzeiten noch unruhiger sind und abends kaum einschlafen können.

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Schlafstörungen sind ein häufig unterschätztes Symptom: Das blaue Licht von Bildschirmen hemmt die Ausschüttung von Melatonin, was den Schlafbeginn verzögert (5. Holzman, D.C., 2010). Für ADHS-Kinder, die ohnehin Schwierigkeiten beim Abschalten haben, wird das zur doppelten Belastung.

Medienhygiene? Was soll das sein?

Experten raten deshalb zu einer konsequenten „Medienhygiene“. Das bedeutet nicht, digitale Medien komplett zu verbannen – wohl aber, sie kontrolliert und bewusst einzusetzen.

Klare Bildschirmzeiten: Empfehlungen der WHO raten, Grundschulkinder nicht mehr als 1 Stunde täglich vor Bildschirme zu setzen (6. WHO, 2019).

Qualität statt Quantität: Interaktive Medien mit Lerninhalten oder Bewegungselementen sind verträglicher als passive Dauervideos.

Medienfreie Zonen: Abends mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen keine Bildschirme mehr, um die innere Ruhephase zu fördern.

Analoge Inseln schaffen: Naturerlebnisse, Lesen, Musik oder Basteln helfen, die Reizflut auszugleichen.

Eltern, die diese Regeln umsetzen, berichten häufig von besserem Schlaf, weniger Konflikten und einem ruhigeren Grundverhalten ihrer Kinder.

Omega-3 und Reizfilterung

Neben Medienhygiene rückt auch die Ernährung in den Blickpunkt. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass Kinder mit ADHS häufig niedrigere Werte an Omega-3-Fettsäuren im Blut aufweisen (7. Rucklidge, J. et al., 2018). Diese Fettsäuren sind nicht nur Bausteine von Nervenzellen, sondern auch an der Regulation der Reizweiterleitung beteiligt. Ein Mangel kann dazu führen, dass Reize schlechter gefiltert werden und Kinder stärker auf Ablenkungen reagieren.

Meta-Analysen zeigen, dass eine gezielte Supplementierung mit Omega-3 (v. a. EPA und DHA) kleine, aber messbare Verbesserungen bei Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Schlafqualität bringen kann.

Fazit: Kinder brauchen Ruhe – und Eltern Handlungssicherheit

Wenn Kinder mit ADHS nicht mehr abschalten können, ist das kein Zeichen elterlichen Versagens, sondern ein Spiegel unserer überreizten Welt. Digitale Medien sind dabei ein zentraler Faktor: Sie überfluten das Gehirn, verlängern Unruhephasen und verschärfen Schlafprobleme. Gleichzeitig gibt es Wege, gegenzusteuern: durch konsequente Medienhygiene, feste Routinen und eine bewusste Unterstützung des Gehirns über Ernährung und Mikronährstoffe.

Eltern dürfen wissen: Sie sind mit diesem Problem nicht allein. Schon kleine Veränderungen im Alltag – weniger Bildschirmzeit, mehr Ruheinseln, eine gesunde Ernährung – können helfen, Kindern wieder Klarheit und Fokus zu schenken.

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Quellen

  1. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2022): Digitale Medien und Kindergesundheit. Köln
  2. Robert Koch-Institut (RKI) (2020): Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – KiGGS Welle 2. https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/A/ADHS/ADHS_node.html
  3. Paulus, F.M. et al. (2019): „Media Multitasking and ADHD Symptoms“.
  4. Shaw, P. et al. (2015): „Neurodevelopmental Trajectories of the Prefrontal Cortex in ADHD“. Biological Psychiatry.
  5. Holzman, D.C. (2010): „What’s in a Color? The Unique Human Health Effects of Blue Light“. Environmental Health Perspectives.
  6. World Health Organization (WHO) (2019): Guidelines on physical activity, sedentary behaviour and sleep for children under 5 years.
  7. Rucklidge, J. et al. (2018): „Omega-3 Fatty Acids in ADHD: Emerging Evidence“. Journal of Attention Disorders.