Wer hat nicht schonmal einen Geburtstag oder eine wichtige Sache beim Einkauf vergessen? Besonders mit zunehmendem Alter kommt bei vielen Menschen die Frage auf, ob das eigene Erinnerungsvermögen abgenommen hat. Mit diesen Gedanken geht oft die Sorge einher, dass diese Vergesslichkeit durch eine Erkrankung verursacht wird. Um diese Sorge besser einschätzen zu können, muss man das Gedächtnis zunächst einmal verstehen. Im Nachfolgenden werden wir uns daher die Funktionsweise des Gedächtnisses näher anschauen. Basierend darauf werden Maßnahmen zur Verbesserung der Gedächtnisleistung und Erhalt der Gehirnleistung vorgestellt.
Was ist das Gedächtnis?
Das Gedächtnis umfasst Speicherung, Aufbewahrung und Abruf von Informationen. Dabei kann es sich um Wörter, Bilder, Geräusche sowie motorische Fertigkeiten und Sprache handeln (1).
Die Funktionsweise des Gedächtnisses unterliegt komplexen Prozessen, die verschiedenen Kategorien zugeordnet sind. Je nachdem welche Art des Gedächtnisses in den Vordergrund tritt, werden verschiedene Areale des Gehirns aktiviert (2). Das Gedächtnis wird dabei wie folgt unterteilt:
Qualitative Kategorien:
- Deklaratives Gedächtnis: Beinhaltet das Faktenwissen zum Beispiel über Personen, Namen und Ereignisse. Die Informationen können bewusst abgerufen und wiedergegeben werden.
- Nicht-deklaratives Gedächtnis: Speichert Informationen über Fähigkeiten, bestimmte Dinge auszuführen oder zu assoziieren. Der Abruf der Informationen erfolgt häufig unbewusst
Zeitliche Kategorien:
- Sensorisches Gedächtnis oder Ultrakurzzeitgedächtnis
- Kurzzeitgedächtnis
- Langzeitgedächtnis
Die zeitlichen Kategorien hängen damit zusammen, wie lange eine Information “gespeichert” wird. Allgemein können Informationen dauerhaft behalten, mit der Zeit gelöscht oder durch einen neuen Reiz ersetzt werden. Das sensorische Gedächtnis bewahrt Informationen nur für wenige Sekunden auf. Es umfasst alle sensorischen Informationen, die wir permanent durch unsere Sinnesorgane erfassen. Diese müssen jedoch zur weiteren Verarbeitung “gefiltert” werden. Relevante sensorische Informationen gelangen entsprechend ins Kurzzeitgedächtnis. Dieses speichert Informationen innerhalb eines zeitlichen Rahmens von mehreren Sekunden bis wenigen Minuten. Informationen, die es hierhergeschafft haben, gelangen potentiell auch bis ins Langzeitgedächtnis.
Im Langzeitgedächtnis werden Informationen dann dauerhaft gespeichert. Sie sind uns zwar nicht immer bewusst, können aber theoretisch ein Leben lang abgerufen werden. So laufen Informationen über einen kurzlebigen sensorischen Speicher bis zum Kurzzeitgedächtnis. Welche Informationen weitergeleitet werden, wird durch Wahrnehmungs- und Aktivitätsprozesse bestimmt. Besonders relevante Informationen werden in das Langzeitgedächtnis überführt (1).
Unterschiedliche Gedächtnisprozesse aktivieren bestimmte Areale des Gehirns. Für das deklarative Gedächtnis ist vor allem der sogenannte Hippokampus im Temporallapen verantwortlich. Außerdem spielen benachbarten Regionen wie der Gyrus parahippocampalis, der Cortex entorhinalis und der Cortex perirhinalis eine Rolle. Diese Strukturen empfangen synaptische Signale, aus denen relevante Informationen für das Verhalten extrahiert werden. Die Informationen gelangen über den ento- und perirhinalen Kortex zum Hippokampus.
Für das nicht-deklarative Gedächtnis ist das Corpus striatum als Vermittler zwischen sensorischen und motorischen Signalen zuständig. Die Amygdala verleiht den sensorischen Reizen eine emotionale Bedeutung. Je nach dem, wie diese ausfällt, wird auch die Abspeicherung im Gedächtnis verändert.
Diese Verbindungen sind Teil des sogenannten limbischen Systems. Sie beeinflussen unter anderem auch Änderungen von Blutdruck, Herzfrequenz und Schweißproduktion (2).
Wie funktionieren Lernprozesse?
Bei jeder Art von Lernprozesse übernehmen Synapsen eine entscheidende Aufgabe. Diese Nervenenden vermitteln Signale zwischen den Neuronen. Nach entsprechenden Reizen können sich die Synapsen anpassen und verändern. Damit ermöglichen sie eine bessere Signalübertragung zwischen den aktivierten Neuronen. Wird eine synaptische Verbindung zum Beispiel häufig aktiviert, läuft die Signalübertragung mit der Zeit effizienter ab. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als synaptische Plastizität, beziehungsweise Langzeitpotenzierung (1).
Dank dieser Eigenschaften können sich die Rindenfelder des Gehirns verändern. Wenn ein Bereich des Gehirns vermehrt stimuliert wird, führt dies zur Vergrößerung dieses Bereiches. Aus diesem Grund verlangsamt Gedächtnistraining bei älteren Menschen effektiv den kognitiven Abbau effektiv (3).
Prozesse des Vergessens
Das Gehirn ist nicht nur in der Lage sich Informationen zu merken, sondern diese auch wieder zu vergessen. Das Vergessen von Informationen fällt im Alltag meist eher unangenehm auf, ist aber wichtig für die Funktion des Gedächtnisses. Beispielsweise werden damit Informationen, die nicht mehr aktuell sind, mit neuen Informationen ausgetauscht. Dabei können Informationen aus allen Teilen des Gedächtnisprozesses vergessen werden.
Vorhandene Informationen werden dabei zum Teil auch ersetzt. Wenn neue Reize gesetzt und neue Informationen bekannt werden, findet eine Differenzierung statt. Vorhandene Informationen werden mit den neuen verglichen. Es wird zwischen aktuell wichtigen und weniger wichtigen Daten unterschieden. Nach diesem Prozess werden ältere Informationen mit neuen überdeckt.
Als Gegenstück zur Langzeitpotenzierung gibt es auch die Langzeitdepression. Das ist eine dauerhafte Abschwächung der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Das passiert, wenn diese Verbindung nicht mehr genutzt wird. Ähnliche Gedächtnisinhalte können sich gegenseitig stören und somit den Abruf dieser Informationen blockieren. Der Informationsabruf wird somit gehemmt (3).
Ab wann könnte Vergesslichkeit auf eine Krankheit hindeuten?
Altersbedingte Vergesslichkeit ist ein normaler Teil des Alterns. Menschen vergessen gelegentlich Namen oder verlegen Schlüssel, ohne zwangsläufig an einer Demenz zu leiden. Die Schwere der Symptome und ihr Einfluss auf das tägliche Leben sind hierbei wichtige Unterscheidungsmerkmale. Während altersbedingte Vergesslichkeit in der Regel milde ausfällt, sind Demenzsymptome ernster und stärker einschränkend.
Dementielle Erkrankungen entwickeln sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg. Wenn deutliche Symptome auftreten, ist der Krankheitsprozess bereits weit fortgeschritten. Sind die Anzeichen anfangs meist subtil, nehmen sie im Laufe der Zeit zu und beeinträchtigen immer mehr kognitive Funktionen (4).
Außerdem gilt es die Begriffe Demenz und Alzheimer zu unterscheiden. Die beiden Pathologien werden oft synonym verwendet, beschreiben jedoch unterschiedliche Dinge. Demenz ist ein Syndrom, beschreibt also das gemeinsame Auftreten verschiedener Symptome. Es tritt als Folge einer chronisch-fortschreitenden Gehirnerkrankung auf. Eine Demenz kann entsprechend verschiedene Ursachen haben: Zerebrovaskuläre Störungen, Parkinson oder eben Alzheimer. Diese Erkrankung beschreibt eine spezifische Pathologie, die zur Entwicklung einer Demenz führt. Es gibt jedoch auch zahlreiche Fälle von Demenz, die nichts mit Alzheimer zu tun haben (5).
Neurodegenerative Erkrankungen – Vorbeugung statt Therapie
Wie bereits beschrieben, entwickelt sich eine neurodegenerative Erkrankung wie Alzheimer über einen langen Zeitraum hinweg. Vorhandene medikamentöse Therapien können die Erkrankung in diesem Stadium allerdings nicht heilen. Sie lindern lediglich die Symptome und verlangsamen den Krankheitsverlauf (6).
Aus diesem Grund kommt vorbeugenden Maßnahmen eine wichtige Rolle zu. Mit ihnen kann die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Krankheit verringert werden. Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität stehen dabei an vorderster Stelle. Aber auch das Vermeiden von Rauchen und die Kontrolle von Blutzucker- und Cholesterinwerten senken das Demenzrisiko. Die Teilnahme an sozialen Aktivitäten und die Förderung geistiger Fitness helfen ebenfalls, die Gesundheit des Gehirns zu schützen. Es ist von Vorteil, sich diese gesunden Gewohnheiten möglichst früh anzueignen, um die Wahrscheinlichkeit einer neurodegenerativen Erkrankung zu minimieren.
Eine ausgewogene Ernährung sollte reich an Gemüse, Obst und Hülsenfrüchten und arm an Fleisch und verarbeiteten Lebensmitteln sein. Für die kognitive Gesundheit spielen außerdem Omega-3-Fettsäuren eine wichtige Rolle. Sie haben gesundheitsfördernde Eigenschaften und einen schützenden Effekt auf das neuronale Netz sowie die kognitive Funktion (7).
Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Sie beeinflussen die Flexibilität, Fluidität und Biegesteifigkeit von Zellen (8). In der westlichen Ernährungsweise werden deutlich höhere Mengen an Omega‑6, als an Omega-3-Fettsäuren konsumiert. Dieses unausgewogene Verhältnis wirkt entzündungsfördernd und steigert das Risiko vieler Krankheitsbilder. Ein unausgewogenes Verhältnis aufgenommener Fettsäuren beeinträchtigt auch die Struktur und Funktion des Gehirns. Zur Aufrechterhaltung der Gesundheit ist das richtige Verhältnis der Fettsäuren von großer Bedeutung. Das ideale Verhältnis zwischen Omega‑3 und Omega-6-Fettsäuren liegt bei 1:1 (6).
Der Einfluss von Omega-3-Fettsäuren auf das Gedächtnis und kognitive Leistung
Omega-3-Fettsäuren spielen bereits in der neuronalen Entwicklung eine wichtige Rolle. Auf eine ausreichende Versorgung soll besonders im dritten Trimester der Schwangerschaft bis zu den ersten sechs Monaten geachtet werden. Liegt bei der Mutter ein Mangel an Omega-3-Fettsäuren vor, beeinträchtigt das die Entwicklung des Kindes. Außerdem wirkt sich ein Mangel an Omega‑3 in diesem Stadium negativ auf die motorische, soziale und kommunikative Entwicklung aus (9).
Eine häufige neurologische Entwicklungsstörung bei Kindern und Jugendlichen ist ADHS. Die Abkürzung steht für die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Sie wird durch drei Hauptsymptome gekennzeichnet: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Die Studienlage weist auf ein hohes Potenzial von Omega-3-Fettsäuren bei der Behandlung dieser Symptome hin (10).
Auch in späteren Lebensjahren haben Omega-3-Fettsäuren eine schützende und präventive Wirkung. Sie verbessern den Blutfluss, senken Entzündungswerte und hemmen die Plaquebildung in den Blutgefäßen. Dadurch wird auch die Blutversorgung des Gehirns verbessert. Der regelmäßige Verzehr von Omega-3-Fettsäuren fördert Gedächtnis- und Lernfunktionen. Dadurch sinkt letztlich das Risiko zur Entwicklung von kognitivem Abbau (7).
Eine Studie aus dem Jahr 2021 konnte außerdem zeigen, dass eine ausreichende Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren das Alzheimer-Risiko senkt. Die Autoren betonen dabei, dass die Zufuhr dieser Fettsäuren besonders in der Prävention eine wichtige Rolle spielt (11). Eine weitere Studie betont, dass eine Kombination von Omega-3-Fettsäuren und B‑Vitaminen sich besonders positiv auf die kognitive Funktion auswirkt. Ein Mangel an Vitaminen B9 und B12 erhöht den Homocystein-Wert, der in Verbindung mit Neurodegeneration gebracht wird (12).
Fazit
Mit dem Alter kommt es oft zu Einbußen in der kognitiven Leistung. Mitunter ist der Grund dafür eine langsam fortschreitende Erkrankung wie Alzheimer. Gerade frühe Stadien der menschlichen Entwicklung sind besonders entscheidend für die Entwicklung des Gehirns. Eine Mangelversorgung mit wichtigen Nährstoffen wie Omega-3-Fettsäuren kann bereits im Mutterleib neuronale Fehlbildungen verursachen. Dadurch könnte auch das Risiko für die spätere Entwicklung neuronaler Störungen zunehmen. Die aktuelle Studienlage deutet darauf hin, dass der regelmäßige Verzehr von Omega-3-Fettsäuren die Gehirngesundheit fördert. Eine ausreichende Versorgung spielt damit in jedem Alter eine wichtige Rolle für die Optimierung und den Erhalt kognitiver Leistungsfähigkeit.
Quellen
- Gruber T. Gedächtnis. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2018.
- Integrative Funktionen des Gehirns — eRef, Thieme; 2023 [Stand: 20.09.2023]. Verfügbar unter: https://eref-thieme-de.pxz.iubh.de:8443/ebooks/cs_21534798?context=search#/ebook_cs_21534798_cs10855.
- Frink-Salzmann A. Gedächtnis: Erinnern und Vergessen. 1. Aufl.: Springer; 2017 [Stand: 20.09.2023]. Verfügbar unter: https://ebookcentral-proquest-com.pxz.iubh.de:8443/lib/badhonnef/reader.action?docID=4776558&ppg=1.
- Gaugler J, James B, Johnson T, Scholz K, Wueve J. Alzheimer’s disease facts and figures. Alzheimer’s & dementia 2016; 12(4):459–509. doi: 10.1016/j.jalz.2016.03.001.
- DIMDI — ICD-10-GM Version 2016; 2020 [Stand: 12.09.2023]. Verfügbar unter: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2016/block-f00-f09.htm.
- Christina Kousparou, Maria Fyrilla, Anastasis Stephanou and Ioannis Patrikios. DHA/EPA (Omega‑3) and LA/GLA (Omega‑6) as Bioactive Molecules in Neurodegenerative Diseases.
- Zhang X, Han H, Ge X, Liu L, Wang T, Yu H. Effect of n‑3 long-chain polyunsaturated fatty acids on mild cognitive impairment: a meta-analysis of randomized clinical trials. Eur J Clin Nutr 2020; 74(4):548–54. doi: 10.1038/s41430-019‑0544‑4.
- Vilgis TA. Biophysik der Ernährung. 2. Aufl. Berlin: Springer Spektrum; 2022.
- Martins BP, Bandarra NM, Figueiredo-Braga M. The role of marine omega‑3 in human neurodevelopment, including Autism Spectrum Disorders and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder — a review. Crit Rev Food Sci Nutr 2020; 60(9):1431–46. doi: 10.1080/10408398.2019.1573800.
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